Qualität und Selbstbild
Selbstverständnis
„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ (Grundsätzlicher Auftrag der Jugendhilfe formuliert in: §1 SGB VIII)
Weiter ist unter §1 Abs. 3 SGB VIII formuliert: “Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen…“
Erfahrungen aus der Betreuungsarbeit in der Jugendhilfe und wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen der Entwicklungspsychologie, der Trauma- und Bindungsforschung, sowie pädagogische Erkenntnisse über die Wirkungsweisen sozialer Gesetzmäßigkeiten (insbesondere der von Institutionen) haben uns bei der Formulierung der Grundsätze für unsere Arbeit in Sozialpädagogischen Lebensgemeinschaften geleitet.
Diese Grundsätze sind für alle Mitglieder verbindlich. Sie werden auf der Grundlage von praktischer Erfahrung und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse stetig weiter entwickelt. Wir versuchen den gesellschaftlichen Auftrag an Jugendhilfe, formuliert in allgemeingültigen Gesetzen, in konkrete Handlungsschritte übersetzbar zu gestalten.
- Die Entscheidung für die Arbeit in einer Lebensgemeinschaft als „kleine“ Einrichtung geschieht in bewusster Zielsetzung und Orientierung und damit in Abgrenzung zu „großen“ Einrichtungen.
Wir wollen die dort institutionsbedingten Mechanismen vermeiden. Unsere Einrichtungen ermöglichen ein realitätsnahes Leben für die aufgenommenen Kinder und Jugendlichen. Sie haben Teil an dem sozialen Leben der Erwachsenen. Kinder und Jugendliche die hier aufwachsen werden befähigt, als eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen - so wie im Gesetz gefordert.
- Jede „große“ Institution hat ein Eigeninteresse. Dies erweist sich im Konfliktfall mächtiger als die Belange der Mitarbeiter und die der Kinder mit den ihrem Entwicklungsstand entsprechenden Abhängigkeiten. Die Institutionsinteressen wirken in den Alltag der Institutions-Mitglieder hinein.
- In der stationären Form der Unterbringung der Jugendhilfe treffen sehr häufig zwei Gegensätze aufeinander, die schwer zu versöhnen sind: Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer trifft auf die Lebenszeit der Kinder.
Der Platz der Kinder in einer Einrichtung soll ihr Zuhause sein, das Zentrum ihres Lebens. Dies steht im Widerspruch zur Arbeitsteilung in „großen“ Institutionen, ihre, für Kinder kaum durchschaubare, Hierarchie und die hier notwendigen Regularien für Arbeitnehmer (AZVO, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen etc.). Kinder, die unter solchen Bedingungen leben, können Beziehungen, die die Grundlage für ihre Entwicklung sind, nicht mit der notwendigen Sicherheit aufbauen. Entsprechendes gilt umgekehrt ebenso für die Erwachsenen als Arbeitnehmer. Erschwert wird für beide Seiten, Kinder und Erwachsene, die Entwicklung einer persönlichen Beziehung in hinreichender Qualität und die auf sie aufbauenden sozialen Netzwerke. Beides aber steht im Zentrum eines jeden Entwicklungsprozesses.
Die im Verein Koordination sozialpädagogischer Lebensgemeinschaften versammelten Lebensgemeinschaften beachten diesen Widerspruch und versuchen ihn aufzulösen.
- Kinder benötigen für ihre Entwicklung eine verständliche Struktur, die sich in ihrem Alltag und dem Erziehungsgeschehen klar und zuverlässig abbildet. Die soziale Intimität ihres Lebensortes muss durch eine überschaubare Zahl an Erwachsenen gewährleistet werden. Eine große Anzahl von „bedeutsamen“, d.h. wirkungsmächtigen, erwachsenen Personen behindert durch die von ihr ausgehender Dynamik ein haltgebendes Beziehungsangebot.
- Die Persönlichkeit der Lebensgemeinschaftsbetreiber und ihre sozialen Bezüge bilden quasi ihre „Produktionsmittel“. Ziel ist es, eine hinreichende Stabilität für eine Entwicklung zur Verfügung zu stellen. Diese Stabilität beinhaltet, dass sich in Frage stellen lassen durch die biographisch erworbenen Verhaltensweisen/Besonderheiten der aufgenommenen Kinder. Diese Haltung ist notwendig, um die sich im Verhalten ausdrückenden Probleme gemeinsam verstehen zu können. Damit entsteht ein Raum um aus einem sich stetig wiederholenden Kreislauf von „scheiternden Selbstheilungsversuchen“ des Kindes zu befreien.
Die Kinder sind nicht für die Tatsache und deren Konsequenzen verantwortlich zu machen, dass sie nicht unter den gesellschaftlich vorherrschenden Bedingungen in der Ursprungsfamilie aufwachsen können. Es ist eine Frage gesellschaftlicher Verantwortung und Vernunft für diese Kinder, die nicht in ihrer Familie leben können, zu sorgen. Nach unserer Überzeugung stellt eine sozialpädagogische Lebensgemeinschaft eine gute Möglichkeit für viele Kinder dar, einen familienähnlichen Lebensort zu finden. Wobei „Kinderliebe“ ebenso wenig vor-ausgesetzt werden kann wie „Elternliebe“. Beides ist weder realistisch noch glaubwürdig, wenn sich Menschen zunächst als Fremde begegnen.
- Die Trennung von der Ursprungsfamilie wird als traumatische Erfahrung anerkannt. Wir gehen davon aus, dass die Kinder, die zu uns kommen, in vielfacher Hinsicht verletzt worden sind: sozial, körperlich, psychisch. Ihre Verhaltensweisen verstehen wir als Ausdruck dieser Verletzungen. Wir bemühen uns den Alltag so zu gestalten, dass er den besonderen Problemen des Kindes in haltender und entwicklungsfördernder Hinsicht gerecht wird und dies sowohl in der Lebensgemeinschaft als auch durch beratende und unterstützende Arbeit außerhalb der Lebensgemeinschaft (insbesondere Schule und Kita).
Wenn diese Bemühungen an ihre Grenzen stoßen, suchen wir für das Kind eine therapeutische Unterstützung. Dieser Prozess wird durch regelmäßige Beratung/Supervision von einem Psychologen, der die Kinder gut kennt, begleitet.
Wir bemühen uns, eine für das Kind gute Beziehung zu seinem Ursprung herzustellen bzw. zu erhalten. Diese Bemühungen finden nach unserer Erfahrung ihre Grenzen, wenn z.B. die Herkunftsfamilie in einer massiven Drogenproblematik steckt, von großen psychischen Problemen belastet ist oder auch, wenn ein Kind Opfer von sexueller Gewalt innerhalb der Familie geworden ist. In solchen Fällen ist die Begegnung zwischen Kind und Familie nicht anders zu gewährleisten, als in Begleitung eines (fachkundigen) Dritten in einem öffentlichen Raum.
- Der Einrichtung einer „Dritten Instanz“ ist ihrer Bedeutung wegen ein extra Platz einzuräumen.
Wir haben schon darauf hingewiesen, dass Beziehungsarbeit die entscheidende Grundlage unserer Arbeit ist: Die Persönlichkeit der Erwachsenen in der Lebensgemeinschaft und deren soziale Einbindungen verstehen wir als „Produktivkräfte“ unserer Arbeit (vgl. Punkt 5). Die Kinder in der Lebensgemeinschaft spielen keine „Gastrolle“, auch wenn die Lebensgemeinschaft ihr zu Hause auf Zeit ist. Die Teilnahme und maßgebliche, kreative Beteiligung der Kinder am sozialen Leben der Lebensgemeinschaft begründet viele „Dritte Instanzen“. Es entstehen Freundschaften, andere Sichtweisen auf die Erwachsenen in der Lebensgemeinschaft, andere Verstehensweisen für das Leben der Kinder an diesem Ort, u.a. Durch solche lebensgemeinschaftsnahen Bezüge und Beteiligungen wird für die Kinder die Mächtigkeit der Lebensgemeinschaftsbetreiber „gebrochen“.
Die sozialen Bezüge der Erwachsenen stellen für die Kinder eine „Dritte Instanz“ dar. „Das Dritte“ kann von unterschiedlichen Personen / Institutionen realisiert werden:
- Die LG selber als Interessenvertreterin/-vermittlerin des Kindes gegenüber Kita, Schule, dem ASD u.ä.;
- eine dritte Person über die und durch die sich die Beziehung LG/Kind „bricht“, z.B. Vormund, „gute“ Verwandte, Besuchspatenschaften;
- eine dritte Instanz, die sich zwischen LG/Eltern stellen kann, z.B. Vormund, ASD, manchmal ist auch ein Familiengericht von Nöten;
- Gleichaltrige und Vertreter sachgebundener Interessen, wie Schule, Sport, Musik etc.
- Ein wichtiges Thema ist die Ablösung von LG und Kind.
Zunächst ist festzuhalten, dass ein erheblicher Anteil der Kinder, der in unseren Lebensgemeinschaften seit Jahren gelebt hat, auch nach Auszug/Ablösung noch Kontakt zu uns sucht. Diese Kontakte werden von uns begrüßt. Eine Trennung bedeutet für uns nicht Beziehungsabbruch.
Bei dieser Thematik werden die Grenzen einer Lebensgemeinschaft als Teil der öffentlichen Erziehung deutlich. Eine Rückkehr in die LG ist nur bedingt möglich. Bei allem steht das Bemühen im Vordergrund den Lebensort für die Kinder zu erhalten und ihnen weitere Beziehungsabbrüche zu ersparen.
Der Übergang des jungen Menschen in ein eigenständiges Leben wird gut fundiert im Rahmen realistischer Möglichkeiten des Jugendlichen begleitet und gestaltet.
- Die Mitglieder des Vereins haben mehrere Verfahren/Mechanismen verbindlich für sich eingerichtet, um ein System gegenseitiger Unterstützung zu etablieren und die Qualität ihrer Arbeit weiter zu entwickeln.
Verpflichtend für alle Teilnehmer ist die Beteiligung an folgenden Veranstaltungen:
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- Kollegiale Beratung, abwechselnd in einer der Lebensgemeinschaften (ca. 10mal per anno).
- Gruppensupervision und Beratung an einem neutralen Ort (10mal per anno)
- Supervision in der Lebensgemeinschaft (ca. 8-12 Einzeltermine per anno) dies beinhaltet:
- Supervision
- Krisenintervention
- Telephonische Beratung
- Einzelgespräche mit Kindern
- Begleitung zu kritischen HPGs und Elterngesprächen
- Vorbereitung von Gerichtsterminen
- Teilnahme an Schulgesprächen
Der Psychologe soll eine vertraute Person in der Lebensgemeinschaft sein. Er verfügt über ein „intimes“ Wissen und ist trotzdem eine außenstehende Person, im Sinne einer „Dritten Instanz“. Für die Kinder wird deutlich, dass er ihretwegen kommt und nicht zum „normalen“, bestehenden Beziehungsgepflecht gehört. Diese Rolle „bricht“ die allwissende und mächtige Position der Lebensgemeinschaftsbetreiber und qualifiziert ihn als Ansprechpartner für die Kinder.
Die Wahl der qualifizierten Fachberatung in der Supervision der Lebensgemeinschaften steht den Betreibern frei. Die Durchführung ist verpflichtend.